Anspruch gegen Wohnungseigentümergemeinschaft auf Herstellung eines zweiten Rettungswegs als plangerechtem Zustand (BGH, Urteil vom 23.06.2017, Az: V ZR 102/16)

von | Samstag, 26.08.2017 | Immobilien, Immobilienrecht, WEG-Recht, Wohnungseigentumsrecht

Es gehört zum plangerechten Zustand einer Teileigentumseinheit, dass die öffentlich-rechtlichen Anforderungen an einen Aufenthaltsraum erfüllt sind; dafür erforderliche Maßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum wie die bauordnungsrechtlich vorgeschriebene Herstellung eines zweiten Rettungswegs entsprechen regelmäßig ordnungsmäßiger Verwaltung und können von einzelnen Wohnungseigentümern gemäß § 21 Abs. 4 WEG beansprucht werden.

Dies hat der BGH in einem Urteil vom 23.06.2017, Az: V ZR 102/16 (LG Berlin), entschieden.

Folgender Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde:

Der Kläger war Sondereigentümer mehrerer Räume im Kellergeschoss, die nicht zu Wohnzwecken dienen. Die Räume werden im Aufteilungsplan als “Keller” bezeichnet. Nach den Bestimmungen der Gemeinschaftsordnung (im Folgenden GO) dient das Sondereigentum an Wohnungen ausschließlich zu Wohnzwecken. Weiter enthält § 4 Abs. 2 GO folgende Bestimmung:

„Die Gewerbeflächen dürfen zu baurechtlich zulässigen gewerblichen Zwecken genutzt werden – die im Aufteilungsplan angegebene Nutzung ist nicht die allein maßgebliche. (…) Der Wohnungs- bzw. Teileigentümer ist verpflichtet, auf seine Kosten alle erforderlichen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen einzuholen und hat alle mit der Nutzungsänderung in Zusammenhang stehenden Kosten und Lasten zu tragen.“

Die Nutzung der Souterraineinheiten zu Aufenthaltszwecken ist bauordnungsrechtlich nicht genehmigt, weil die Räume in den der Baugenehmigung zugrundeliegenden Plänen als „Kellerraum“ bezeichnet werden. Der Kläger beantragte eine bauordnungsrechtliche Nutzungsänderung, um seine Einheit als Aufenthaltsraum nutzen zu können. Nach der einschlägigen Landesbauordnung muss zur Nutzung des Kellerraumes ein zweiter Rettungsweg geschaffen werden. Der Kläger beantragte vor diesem Hintergrund auf einer Versammlung u. a., diesen zweiten Rettungsweg herzustellen. Der Antrag fand keine Mehrheit.

Der Kläger hat gegen diesen Negativbeschluss geklagt mit dem Ziel, dass seinem Antrag entsprochen wird. Hilfsweise soll das Gericht einen Beschluss des Inhalts ersetzen, dass alle Maßnahmen vorgenommen werden, die zur Errichtung eines zweiten Rettungswegs erforderlich sind. Die Klage hatte bei Amts- und Landgericht keinen Erfolg, so dass der Kläger Revision zum BGH eingelegt hat.

Der BGH gab der Klage statt mit dem Hinweis darauf, dass mit der Begründung der Vorinstanzen die Abweisung der von den Klägern zulässig erhobenen Klage keinen Bestand haben kann.

Der Kläger hat nach Auffassung des BGH einen Anspruch auf Herstellung des zweiten Rettungswegs nach § 21 Abs. 4, 5 Nr. 2 WEG. Die nächstliegende Auslegung der Teilungserklärung ergibt im Gegenteil, dass unterschiedliche gewerbliche Nutzungen erlaubt sind und die im Aufteilungsplan angegebene Nutzung (nämlich „Kellerraum“) gerade nicht die allein maßgebliche ist. Vielmehr ist jede gewerbliche Nutzung zulässig, soweit die Vorgaben des Bauplanungsrechts (ggf. der Baunutzungsverordnung) und die auf spezifische gewerbliche Nutzungsformen bezogenen Vorschriften des Bauordnungsrechts erfüllt sind. Dabei wird die allgemeine Eignung als Aufenthaltsraum vorausgesetzt. Sie zählt zu dem plangerechten Zustand, für dessen erstmalige Herstellung nicht der Teileigentümer, sondern die Gemeinschaft zuständig ist. Infolgedessen gehört ein bauordnungsrechtlich vorgeschriebener zweiter Rettungsweg zu der erstmaligen plangerechten Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums. Zu einer ordnungsmäßigen Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums zählten sowohl die erstmalige plangerechte Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums, als auch Maßnahmen zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Anforderungen an das gemeinschaftliche Eigentum. Anders sei es nur, wenn die Wohnungseigentümer den Gebrauch des Teileigentums weiter eingeschränkt hätten. So lag es im entschiedenen Fall aber nicht. Mit der Formulierung, dass die Räume “nicht zu Wohnzwecken dienten”, werde nur § 1 Abs. 3 WEG aufgegriffen. Dass der Aufteilungsplan die Räume als “Keller” bezeichne, sei wegen der “nachrangigen Bedeutung der planerischen Eintragungen” unerheblich. Eine Nutzungsbeschränkung lasse sich ferner nicht aus der Bestimmung entnehmen, wonach die “Gewerbeflächen” zu “baurechtlich zulässigen gewerblichen Zwecken genutzt werden” dürften. Daraus ergebe sich nicht, dass das Teileigentum nur als Keller- oder Lagerraum diene. Die Sache sei allerdings nicht zur Endentscheidung reif. Da den Wohnungseigentümern bei der Schaffung des zweiten Rettungswegs unter Beachtung bauordnungsrechtlicher Vorgaben grundsätzlich ein Ermessen zustehe, könnten die Hauptanträge des Klägers nur dann Erfolg haben, wenn die beantragte Herstellungsweise die einzig mögliche Ausführung darstelle. Gebe es eine Alternative, was aufzuklären sei, könne nur der Hilfsantrag Erfolg haben.
Praxishinweis

Der BGH setzt mit der vorliegenden Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 26.02.2016 – V ZR 250/14, BeckRS 2016, 10839; BGH, Urteil vom 14.11.2014 – V ZR 118/13, BeckRS 2015, 03448) fort, wonach die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Anforderungen Aufgabe aller Wohnungseigentümer – nicht einzelner Wohnungseigentümer (BGH, Urteil vom 05.12.2003 – V ZR 447/01, NJW 2004, 1798; BayObLG, Beschluss vom 15.12.1989 – BReg. 2 Z 130/89, MittBayNot 1990, 170; BayObLG, Beschluss vom 27.03.1986 – BReg. 2 Z 109/85, NJW-RR 1986, 954) – ist, wie z.B. auch die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen an den Stellplatznachweis, wenn der Bauträger bei der Errichtung der Wohnanlage und der Teilung nach § 8 WEG von den der Baugenehmigung zugrundeliegenden Plänen abgewichen ist und dadurch die öffentlich-rechtliche Verpflichtung besteht, weitere Stellplätze zu schaffen (BGH, Urteil vom 26.02.2016 – V ZR 250/14, BeckRS 2016, 10839).

Allerdings greift die Beschlussersetzung durch das Gericht nach § 21 VIII WEG in die Privatautonomie der Wohnungseigentümer ein, so dass das Gericht Maßnahmen nur insoweit anordnen darf, als dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes unbedingt notwendig ist. Dabei hat das Gericht stets im Blick zu behalten, auf welche Weise es den Wohnungseigentümern ermöglicht werden kann, noch eine eigene Entscheidung zu treffen, etwa wie der Rettungsweg erfüllt wird. Wenn hierfür mehrere Wege zur Verfügung stehen, ist es weder erforderlich noch möglich, ein bestimmtes Vorgehen gerichtlich festzulegen (BGH, Urteil vom 24.05.2013 – V ZR 182/12, NJW 2013, 2271; Urteil vom 26.02.2016 – V ZR 250/14, BeckRS 2016, 10839).